Stark: „Die EM hat in meiner Sammlung noch gefehlt“

Beim "Clasico" in Spanien im Einsatz: FIFA-Schiedsrichter Wolfgang Stark  © Bongarts/GettyImages
Beim "Clasico" in Spanien im Einsatz: FIFA-Schiedsrichter Wolfgang Stark

Wenn am Sonntag Borussia Dortmund beim HSV spielt, steht zunächst ein Akteur im Fokus, der sich im Normalfall freut, wenn möglicht wenig über ihn geredet wird: Schiedsrichter Wolfgang Stark. Der 42-Jährige leitet sein 250. Spiel in der Bundesliga, eine stolze Zahl, auf die Stark zu Recht stolz ist.

Im Interview mit DFB.de-Redakteur Steffen Lüdeke blickt der Unparteiische zurück auf seine Karriere, er spricht über Höhepunkte, Fehlentscheidungen, über den Wandel in 15 Jahren Bundesliga und über den Spaß an der Schiedsrichterei, den er seit 1983 nicht verloren hat.

DFB.de: Herr Stark, die Rückrunde der Saison 2011/2012 beginnt für Sie am Sonntag mit einem besonderen Auftritt – sie pfeifen ihr 250. Spiel. Was bedeutet Ihnen diese Zahl?

Wolfgang Stark: Es gibt nicht viele Schiedsrichter, die in den Genuss gekommen sind, ein solches Jubiläum feiern zu können. Für mich ist dies in erster Linie eine Anerkennung meiner Leistungen. Ein Schiedsrichter wäre nicht über einen so langen Zeitraum dabei, wenn er ständig schlecht gepfiffen hätte. Dass mir dies gelungen ist, freut mich sehr.

DFB.de: Jubiläen sind immer Anlass, zurückzublicken. Erinnern Sie sich noch an das allererste Spiel unter Ihrer Leitung?

Stark: Schon, auch wenn nicht mehr detailliert. Das war im Jahr 1983, ein D-Jugend-Spiel. Ich glaube, es war das Spiel SC Postau gegen Landshut-Auloh. Es sind viele Tore gefallen, Landshut hat 10:0 gewonnen. Ich war damals natürlich nervös. Viele der Spieler kannte ich von der Schule her, deswegen war es ein merkwürdiges Gefühl, auf einmal bei ihnen Schiedsrichter zu sein. Mir hat geholfen, dass das Spiel sehr einseitig war.

DFB.de: Ihr Vater Rudi Stark stand damals am Spielfeldrand. Er erzählt, dass sie sich in den ersten zehn Minuten nicht getraut hätten, in die Pfeife zu blasen.

Stark: Ich habe zu Beginn vieles noch aus Sicht des Fußballers gesehen. Ich habe zu dieser Zeit ja noch selbst gespielt. Manchmal habe ich mich dabei ertappt, dass ich mich selbst zwingen musste, meine Gedanken in der Rolle des Schiedsrichters zu denken. Deswegen habe ich zu Beginn einige Male ein Foulspiel nicht geahndet, weil ich in dem Moment noch als Spieler gedacht habe.

DFB.de: Sie sind in die Rolle des Schiedsrichters ziemlich schnell hineingewachsen. 1997 sind Sie schließlich in der Bundesliga angekommen.

Stark: Das war am 4. April das Derby zwischen Köln und Duisburg. Toni Polster hat damals beim FC gespielt. Es war ein spektakuläres Spiel. Zur Halbzeit hat Köln 2:0 geführt, in Halbzeit zwei hat der MSV das Spiel gedreht und noch 5:2 gewonnen. Für mich war es ein gelungener Einstand. Es gab keine größeren Probleme, ich bin ohne Gelbe und ohne Rote Karte ausgekommen.

DFB.de: Hatten Sie immer das Ziel vor Augen, eines Tages in der Bundesliga zu pfeifen?

Stark: Es war im Hinterkopf, mehr nicht. Als ich mit dem Pfeifen begonnen habe, habe ich ja parallel noch aktiv Fußball gespielt und mich mehr als Fußballer gesehen. Schiedsrichter war ich zu dieser Zeit nur nebenbei.

DFB.de: Das hat sich gewandelt, als Sie im Alter von 18 Jahren aufgehört haben, Fußball zu spielen.

Stark: Genau. Die Prioritäten haben sich verschoben. Mir hat die Schiedsrichterei viel mehr Spaß gemacht als das Spielen. Ich habe mich dann auf die Laufbahn als Schiedsrichter konzentriert und ziemlich schnell gemerkt, dass ich für diesen Job nicht völlig ungeeignet bin.

DFB.de: In der Tat. Sie haben als Schiedsrichter fast alles erreicht und beinahe die ganze Welt gesehen. Im Jahr 2001 waren Sie zum Beispiel für vier Wochen in Japan und haben in der J-League gepfiffen.

Stark: Für mich war dies eine ganz neue und wertvolle Erfahrung. Auch weil ich ohne Assistenten dort und also völlig auf mich allein gestellt war. In diesen vier Wochen hatte ich viele interessante Spiele und Erlebnisse, ich möchte diese Zeit nicht missen.

DFB.de: Haben die angeblich zurückhaltenden Asiaten Ihre Entscheidungen klagloser akzeptiert als europäische Fußballer?

Stark: Ich hatte dort als groß gewachsener Europäer alleine schon physisch eine andere Wirkung. Und die Mentalität kommt hinzu. Die Asiaten sind auch auf dem Platz eher zurückhaltend und zeigen weniger Emotionen. Die Spielleitung war deswegen anders und auch einfacher als ich dies aus der Bundesliga gewohnt war.

DFB.de: Sie waren sieben Jahre später wieder in Asien und haben bei den Olympischen Spielen in Peking Fußballspiele geleitet. Auch ein Karriere-Highlight, oder?

Stark: Ja. Auch für die Schiedsrichter ist das Erlebnis Olympia etwas Tolles, etwas Herausragendes. Für mich war es auch eine Auszeichnung. Es gab schließlich nur fünf Schiedsrichter aus Europa, die in Peking pfeifen durften.

DFB.de: Der nächste Höhepunkt kam zwei Jahre später, Sie waren Deutschlands Schiedsrichter bei der WM 2010…

Stark: …Und es war fantastisch. Wir haben drei Spiele leiten dürfen, dass sind Erlebnisse, die einem niemand mehr nehmen kann. Die ganze Vorbereitung, die Eindrücke und die Stimmung vor Ort. Für mich war es eine Ehre, bei einem solchen Turnier dabei sein zu dürfen. Und wenn es dann auch noch so gut läuft, wie es für mich und mein Team gelaufen ist, dann ist das einfach nur schön. Ich werde die WM immer in toller Erinnerung behalten.

DFB.de: Für Sie folgte auch danach Highlight auf Highlight. Sie haben 2011 das Halbfinale der Champions League zwischen Real Madrid und dem FC Barcelona gepfiffen und später das DFB-Pokalfinale zwischen Duisburg und Schalke. Spiele auf hohem Niveau. Haben Sie als Schiedsrichter einen Blick für die Schönheit des Spiels?

Stark: Duelle wie Madrid gegen Barcelona sind auch für die Unparteiischen etwas Besonderes. Aber jedes Spiel, jede Paarung stellt für den Schiedsrichter eine eigene Herausforderung dar. Da ist es eigentlich egal, ob Weltklasse-Spieler an der Partie beteiligt sind oder nicht.

DFB.de: Sie sind seit 15 Jahren Schiedsrichter in der Bundesliga. Wie sehr haben sich die Anforderungen an den Schiedsrichter im Laufe der Jahre gewandelt?

Stark: Es hat sich sehr viel getan. Das Spiel ist schneller geworden, die Spieler sind athletischer. Früher gab es im Spiel für den Schiedsrichter die eine oder andere Erholungsphase. Heute ist dies undenkbar, man kann keine fünf Sekunden mehr abschalten. Das Spiel hat sich in vielen Facetten gewandelt. Taktisch hat sich einiges geändert. Vor 15 Jahren gab es noch einen Libero, mittlerweile wird mit einem Sechser vor der Abwehr gespielt oder mit der Doppel-Sechs oder einer Raute. Auf die vielen Änderungen im Spiel mussten sich auch die Schiedsrichter einstellen. Ein Schiedsrichter muss ja immer voraus ahnen, an welcher Stelle auf dem Platz sich die nächste Situation ergeben könnte. Heute agieren schon die Innenverteidiger als Spielmacher, das ist nur ein Beispiel. Aus solchen Feinheiten ergeben sich natürlich auch Folgen für die Schiedsrichter.

DFB.de: Sie haben in Ihrer Karriere sehr viele schöne Momente erlebt, es gab aber auch negative Erlebnisse. Zum Beispiel die U 20-WM im Jahr 2007 in Kanada.

Stark: Richtig. Nach dem Halbfinale Chile gegen Argentinien mussten wir mit Polizeischutz vom Platz. In der Rückschau kann ich sagen, dass alle getroffenen Entscheidungen richtig waren. Aber das Spiel wurde über die gesamte Zeit sehr emotional geführt. Und nach dem Spiel sind Dinge passiert, die beim Fußball nichts zu suchen haben. Aber noch mal: Ich würde bei diesem Spiel alle Entscheidungen wieder so treffen.

DFB.de: Dennoch: Als Schiedsrichter treffen Sie naturgemäß auch falsche Entscheidungen. Wenn Sie könnten – welche Ihrer Fehler würden Sie rückgängig machen?

Stark: Da gibt es einige. Spontan erinnere ich mich an ein Spiel in Wolfsburg, bei dem ich ein Handspiel auf der Torlinie übersehen habe, das ist aber schon länger her. Vor einiger Zeit gab es das Spiel Wolfsburg gegen Schalke, bei dem Klaas-Jan Huntelaar vor seinem Treffer den Ball mit der Hand gespielt hat. Das sind Einzelsituationen, über die ich mich im Nachhinein sehr ärgere und die mich veranlassen, mich und meine Leistung zu hinterfragen.

DFB.de: In der Regel liegen Sie mit Ihren Entscheidungen zum Glück richtig. Deswegen wartet auch schon das nächste besondere Erlebnis. Sie wurden von der UEFA für die EURO nominiert. Wie groß ist Ihre Vorfreude auf das Turnier in Polen und der Ukraine?

Stark: Die EM fehlt in meiner Sammlung noch. (lacht) Es hat mich natürlich sehr gefreut, dass ich für die EM nominiert worden bin. Aber: Noch ist es nicht soweit, noch sind wir nicht da. Wir sind jetzt nominiert, aber wir haben noch ein, zwei Lehrgänge zu absolvieren. Auch stehen vorher noch viele nationale und internationale Spiele an. Und ich muss gesund und verletzungsfrei bleiben. Wenn all das passt, und wir schließlich am 4. Juni wirklich vor Ort sind, erst dann geht die EM so richtig los.

DFB.de: Die Wahrscheinlichkeit das Finale leiten zu dürfen, könnte vielleicht gering sein…

Will fit und gesund bleiben: Stark  © Bongarts/GettyImages
Will fit und gesund bleiben: Stark

Stark: (lacht) Als Schiedsrichter aus Deutschland hat man nun mal das Schicksal, dass die deutsche Mannschaft bei den Turnieren in aller Regel ziemlich weit kommt und die Chance sehr klein ist, dass man im Halbfinale und Finale noch zum Einsatz kommt. Ich kann nicht mehr machen, als mich auf mein Spiel zu konzentrieren. Und wenn es genau so läuft, wie bei der WM, dann bin ich sehr zufrieden. Ich fahre sehr gerne nach zwei, drei sehr guten Einsätzen nach Hause und drücke dann der Nationalmannschaft im weiteren Verlauf alle Daumen.

DFB.de: Sie haben als Schiedsrichter beinahe alles erreicht. Welche Ziele streben Sie noch an? Muss sich Markus Merk Sorgen machen – er ist mit 339 Spielen Rekordhalter in der Bundesliga?

Stark: Nein, diese Marke habe ich nicht im Blick. Es gibt andere Ziele, die ich erreichen möchte. Dazu gehört in erster Linie, dass ich weiter gute Leistungen bringe. Dafür muss ich fit und gesund bleiben.

DFB.de: Und Sie müssen weiter Spaß an der Schiedsrichterei haben.

Stark: Das ist die Grundvoraussetzung für alles. Und daran hat sich bei mir zum Glück seit 1983 nichts geändert. Mir macht das Pfeifen heute noch genauso viel Spaß wie zu Beginn meiner Karriere. Und solange dies so ist, kann ich auch gute Leistungen abliefern.

Quelle: www.dfb.de