„Wir mussten ein Zeichen setzen“

Dieter Langsdorf vom Schiedsrichterausschuss über Gewalt gegen Unparteiische, den abgesetzten Spieltag und Spaß am Pfeifen

Rote Karte für die Übergriffe: Die Schiedsrichter bekennen Farbe.	Foto: Archiv

GIESSEN. Die Fußball-Schiedsrichter standen im vergangenen Jahr ein ums andere Mal im Blickpunkt. Nicht nur im Falle Babak Rafati, oder bei einer ganzen Reihe umstrittener Entscheidungen, die den Ruf nach Chip im Ball oder Videobeweis lauter werden ließ. Der Sportkreis Gießen hatte da ganz andere Probleme: Nach Übergriffen auf Schiedsrichter wurde ein kompletter Spieltag der Kreisliga B2 abgesetzt.

Wie das nachwirkt bei den Betroffenen und was sie von der Situation in den unteren Ligen halten, dazu äußert sich Dieter Langsdorf, zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit des Kreisschiedsrichterausschusses Gießen.

Die Ereignisse des vergangenen Jahres wirken nach: Nach einer Passfälschung, die letztlich aufgeflogen ist, weil ein Schiedsrichter bedroht wurde und der daraufhin das Spiel abbrach, ist Hellas Gießen für ein halbes Jahr gesperrt worden. Wie viel Spaß macht angesichts dessen noch die Schiedsrichterei?

Dieter Langsdorf: Ich sehe die Frage zweigeteilt. Der Sachverhalt der erwiesenen Urkundenfälschung und Verdacht der Bedrohungist für mich eine strafrechtlich relevante Sache, die mit Sicherheit noch nicht abgeschlossen ist und hat aber auch gar nichts mit unserem heißgeliebtem Fußballsport zu tun. Auf Grund meines Berufes kann ich da sehr wohl differenzieren und kann den zweiten Teil der Frage, auch auf Grund des zunächst einmal ergangenen Kreisrechtsausschuss-Urteils, mit einem klaren: Ja, es macht mir noch Spaß, beantworten.

Das vergangene Jahr hatte ein Novum zu bieten: Eine komplette Liga wurde nach Attacken auf Schiedsrichter abgesetzt. Ist der Kreisschiedsrichterausschuss mit dieser Maßnahme zufrieden? Oder war es nur ein symbolischer Akt?

Langsdorf: Nun, wir Kreisschiedsrichter mussten ein Zeichen setzen, denn so wäre es einfach nicht weitergegangen. Hier lobe ich mir die hervorragende Zusammenarbeit mit dem Kreisfußballwart, dem Kreisfußballausschuss und dem Verbandsschiedsrichterausschuss. Wir hatten zu jeder Zeit die vollste Rückendeckung vom Verband und hatten auch schon weitere Maßnahmen in der Hinterhand. Verständlicherweise möchte ich nach der eingetretenen Beruhigung nicht darüber sprechen, kann aber soviel sagen, dass es ein weitaus größeres „Highlight“ negativer Art gewesen wäre. Gott sei Dank haben sich die besonnenen Kräfte wieder durchgesetzt und ich hoffe, dass sich so etwas nie, nie wieder so abspielt.

War das vergangene Jahr, oder besser: ist die laufende Saison besonders problematisch, gibt es in den letzten Jahren eine Tendenz zu mehr Übergriffen auch auf Unparteiische, oder wird da nicht viel mehr ein Thema hochgekocht, das es so im Grunde immer schon gab?

Langsdorf: Nun, jeder der Fußball gespielt hat weiß, dass es schon immer die verbalen Attacken gegen uns Schiedsrichter gab. Nur daran hatte man sich, wenn es auch nicht schön war, irgendwie gewöhnt. Die Sprüche, die ich mir anhören musste, waren dieselben, die auch schon vor Jahrzehnten über die Sportplätze gingen: „Hoyzer“ war jedoch eine neue Dimension. Was nach wie vor höchst bedauerlich ist, sind die Verbalinjurien gegen unsere Nachwuchsschiedsrichter im Jugendbereich. Hier frage ich mich, wie sollen die Eltern ihren Sprösslingen ein Vorbild sein, wenn sie sich am Spielfeldrand derart gehen lassen, dass Jung-Schiedsrichter in der Kabine weinend zusammengebrochen sind. Leider spielt sich der Werteverfall auch auf den Sportplätzen ab und so kam es zu dieser verabscheuungswürdigen Gewaltspirale, die dann Zuschauer gegen Schiedsrichter oder gar Spieler gegen Schiedsrichter erfasst hat. Hat jemals ein Schiedsrichter einen Zuschauer oder Spieler für sein Verhalten auf dem Sportplatz geschlagen oder bedroht?

In einem Fall war von nächtlichen Drohanrufen die Rede, im anderen Fall ist der Schiedsrichter auf dem Feld bedroht worden, im dritten Fall gab es einen tätlichen Angriff noch auf dem Sportgelände. Wie viele Fälle werden eigentlich da noch unter dem Deckel gehalten, die gar nicht an die Öffentlichkeit dringen?

Langsdorf: Da wäre ein Fall, der mir selbst passiert ist. Nachdem einige Personen mit dem Ausgang eines Spiels nicht leben konnten, war ich ebenfalls wütenden Angriffen im Worldwideweb ausgesetzt. Mir selbst ging es nahe, als ich um das Wohlbefinden meiner Familie fürchten musste. Da hört der „Spaß“ auf und die Situation konnte durch ein Zusammenspiel aller besonnenen Kräfte der jeweiligen Umfelder in die richtigen Bahnen geleitet werden. Da der Kreisschiedsrichterausschuss immer und zu jeder Zeit an einem gedeihlichen Miteinanderinteressiert war und ist, wurde dieser Fall nie „hochgekocht“. So kann man sagen, dass die letzten Vorfälle das Fass zum Überlaufen brachte. Wir werden in Zukunft auf derartige Ereignisse, im Sinne eines geordneten Spielablaufes und einer guten Zusammenarbeit mit unseren Kreisvereinen, immer adäquat reagieren.

Wo müssen die Vereine die Hebel ansetzen?

Langsdorf: Hier hätte ich nur eine Bitte an die Verantwortlichen: Alle Beteiligten kennen ihre sogenannten Problemkinder. Auf diese in positiver Art und Weise einzuwirken und sie zu lenken, muss das oberste Gebot sein. Auch darf ein kurzfristiger sportlicher Erfolg mit der Verpflichtung solcher Spieler, die zu Gewalt neigen, nie erkauft werden! Wir Schiesdrichter reichen jedem Verein die Hand und versuchen unser Möglichstes. Ergreifen muss sie der Verein.

Wie sieht es eigentlich im Sportkreis Gießen aus: Gibt es genug Schiedsrichter, ist die Tendenz steigend, oder fallend?

Langsdorf: Zur Zeit haben wir die Anzahl an Schiedsrichtern, um einen reibungslosen Spielbetrieb gewährleisten zu können. Die Tendenz ist jedoch leider sinkend, was ich letztendlich auch auf die Negativvorkommnisse der letzten Zeit zurückführe. Hier gilt es Kräfte zu bündeln, um diesem Trend entgegenzuwirken.

Was ist eigentlich der „Lustfaktor“, Schiedsrichter zu sein. Ums Geld kann es in den unteren Ligen nicht gehen. Und sich am Wochenende von ein paar Zuschauern und Spielern beschimpfen zu lassen, kann ja auch keinen Spaß machen….

Langsdorf: Ich betrachte mich noch immer als Sportler und möchte meiner Lieblingssportart weiterhin verbunden sein. Da ich sowohl die eine Seite als Spieler aus eigenem Erleben kenne, kann ich mich bei meinen Spielleitungen immer in das Handeln hineinversetzen. Zum Teil erahnt man schon, was kommt. Das alles positiv umzusetzen und damit das Spiel in den richtigen Bahnen zu halten, ist der Erfolgsfaktor für den Schiedsrichter.

Wer jahrelang gekickt hat, weiß, dass es bei den Kollegen der pfeifenden Zunft auch Exemplare gibt, die auf dem Platz sich besonders gerne, nennen wir es gockelhaft, benehmen. Wer dann seinem Hobby Fußball nachgeht, und es mit einem Unparteiischen zu tun bekommt, der anscheinend seinen Frust der Woche mit gelb, rot und autoritärem Gehabe abbaut, der kann sich auch schon mal provoziert fühlen, oder?

Langsdorf: Rhetorische Frage: Gibt es nicht auch Spieler, die sich fehlverhalten, gegebenenfalls aus denselben Gründen? Das ist aber nicht zielführend. Sollte es diese Schiedsrichter geben, bitte ich die Vereinsverantwortlichen, diese dem Kreisschiedsrichterausschuss zu melden und das Verhalten, was – wenn es so zutrifft – nicht akzeptabel wäre, genau zu schildern. Nur der Kreisschiedsrichterausschuss kann hier etwas dagegen unternehmen. Der Spieler nicht, denn er unterliegt der Strafgewalt des Unparteiischen und hat das, durch seine Teilnahme an dem geordneten Spielbetrieb im Bereich des HFV, auch so akzeptiert. Es zwingt niemand die Spieler, an einem Verbandsfußballspiel teilzunehmen.

Was tut der Schiedsrichterausschuss bei nicht integer agierenden Kollegen, gibt es da auch Sanktionen?

Langsdorf: Knallhart: Ja! Ist ein schiedsrichterliches Fehlverhalten erwiesen, zieht das empfindliche Strafen bis zum Ausschluss nach sich.

Wie hat sich die Schiedsrichterei in den vergangenen Jahren verändert in den unteren Ligen? Gibt es da eine andere/neue Art des Umgangs miteinander? Ist es – Stichwort elektronischer Spielberichtsbogen – mehr Arbeit geworden?

Langsdorf: Wenn wir den ersten Teil des Interviews einmal ausklammern würden und könnten, möchte ich behaupten: Von menschlicher Seite nein, es hat sich kaum etwas verändert. Von der Medienpräsenz eher. Den kommenden elektronischen Spielbericht sehe ich als Erleichterung an, denn hier wird zum Beispiel ganz klar angezeigt, ob der Spieler die Spielberechtigung hat oder nicht. Mittlerweile läuft doch ohne das WEB nichts mehr und so sind wir mit dieser Sache nur das Abbild einer Entwicklung. Mein Wunsch wäre für die Zukunft, dass wieder die Vereinsverantwortlichen die Passkontrolle übernehmen würden, so wie es schon einmal war. Die kennen sich untereinander viel, viel besser und könnten diese Tätigkeit weitaus effektiver durchführen.

Der Spaß am Pfeifen überwiegt immer noch?

Langsdorf: Ja! Ohne uns geht es nicht. Wir wollen doch nur ein sportliches Miteinander.

Und was wünschen sich die Schiedsrichter für das neue Jahr?

Langsdorf: Alle am Fußballspiel Beteiligten sollten sich wieder auf den Sport mit seiner Fairness konzentrieren. Wir Schiedsrichter sind bereit dazu.

Quelle: www.giessener-anzeiger.de