36 Jahre ist es her, dass er seine erste Partie in Eberstadt pfiff. Damals noch für Jugoradnik Gießen aktiv, ein Verein, der schon lange nicht mehr exisitiert. Gestern nun stand Leopold Abram das letzte Mal auf dem Platz. Der mittlerweile 65-Jährige beendete mit der Partie des FSV Fernwald II gegen den FSG Wettenberg in der Kreisliga A Gießen seine ellanlange Karriere.
Beim Lehrgang in der Sportschule Grünberg erhielt Abram 1976 seine Schiedsrichterlizenz. Drei Jahre später wechselte er zu Teutonia Watzenborn-Steinberg, dem Verein, dem er bis heute die Treue gehalten hat. „Immerhin wohne ich auch dort, da hat sich ein Wechsel angeboten.“ Höhen und Tiefen hatte seine Karriere reichlich zu bieten. Als Unparteiischer war er bis in die Gruppenliga aktiv, als Mann an der Seitenlinie auch bei Spielen bis in der Hessenliga dabei. Unvergessen bleibt ihm sein Einsatz in einem Freundschaftsspiel im Juni 1990, bei dem die Profimannschaft Borussia Dortmunds in Lich gastierte. Nach dem Anpfiff dauert es nicht lange, bis ein schweres Gewitter die Begegnung zum „Regenspiel“ degradierte. Abram blieb nichts anderes übrig, als die Spieler vom Feld zu holen und das Match abzusagen. Oft ist ihm so etwas nicht passiert: „Zwei, drei Spiele habe ich abbrechen müssen, meistens war es aber so, dass wir einfach auf das Ende des Gewitters gewartet haben, um dann weiter zu spielen.“
Sein intensivstes Erlebnis hatte der pensionierte Schreiner bei einem Relegationsspiel in Lohra. Im Verlaufe der Partie brach der Vater eines Akteurs am Spielfeldrand zusammen und verstarb kurze Zeit später: „Als ich gesehen habe, wie ernst es war, habe ich das Spiel abgebrochen. Diesen Tag werde ich nie vergessen.“ In 36 Jahren passiert viel.
Mit der Zeit entwickelte Abram eine regelrechte Routine, die schon mehrere Tage vor dem eigentlichen Spiel begann. Von zu Hause aus sammelte er wichtige Informationen zu den Vereinen der Partie, zu deren Tabellenstand und Personalsituation. Am Tag der Partie war Abram stets eine Stunde vor Anpfiff vor Ort. Dann begannen die kleinen Rituale, die er sich vor jeder Begegnung angeeignet hatte: Das Prüfen der Platzverhältnisse und der Tornetze, schließlich das Händeschütteln mit Trainern und Spielern. Auch für diese Momente, so sagt er, sei er Schiedsrichter geworden. Er spürte aber bei jeder Partie auch den Druck auf die Unparteiischen: „Viele Spieler wälzen ihren Unmut auf uns ab, bei einer Fehlentscheidung stehst du dann sofort am Pranger. Aber auch Schiedsrichter sind nur Menschen.“ Besonders das kameradschaftlich-sportliche Verhältnis zu Hans-Peter Schön, Kreisschiedsrichterobmann, und den Kollegen haben Abram in schwierigen Situationen immer Kraft gegeben.
Seit ein paar Jahren spürt er die biologische Uhr ticken: „In meinem Alter denkt man sich manchmal schon, was mache ich hier? Irgendwann wurde mir dann klar, dass die Gesundheit vorgeht. Ich wollte in einem Alter abtreten, in dem ich mir sagen kann, alles richtig gemacht zu haben.“ Wie schwer manchen seiner Kollegen der Abschied von der Fußballbühne fällt, weiß Abram nur zu gut: „Es gibt nicht wenige Schiedsrichter, die mit über 70 noch auf dem Platz stehen und sich kaum noch bewegen. Nur im Mittelkreis stehend kann man aber das Spiel nicht lesen. Da wird dann mehr nach Gefühl gepfiffen.“ Selbst wollte sich das der 65-Jährige nicht mehr antun: „Es ist die richtige Zeit, um aufzuhören. Ich bin an einem Punkt, an dem ich sehr, sehr zufrieden auf meine Schiedsrichterkarriere zurückschauen kann.“
Im vergangenen Jahr schon gab er seine Beobachtertätigkeit beim Hessischen Fußballverband auf, die er seit 1999 ausgeübt hatte. Nun ging gestern Abend in Steinbach auch seine aktive Schiri-Karriere zu Ende. „Ich habe immer meine Leistung gebracht. In meinem Alter ist das nicht selbstverständlich“, ergänzt Abram mit einem Lächeln. Den Übergang in das Leben nach dem Fußball wird er ganz in Ruhe vollziehen: „Natürlich werde ich auch in Zukunft noch beobachtend an der Linie stehen, dann allerdings neben und nicht auf dem Platz.“
Quelle: www.giessener-anzeiger.de